Das technische Erlebnis muss unsichtbar sein
21. Mai 2025

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Curious Company aus Hamburg hat sich einen Namen gemacht mit sehr spezialisierten, aufwändigen und technisch komplexen Ideen für Unternehmen wie Globetrotter, den Europapark Rust, Siemens oder die Sparkassen. Wie schafft man es in dieser schnelllebigen Welt, die Aufmerksamkeit der Menschen zu binden und sie zum Mitmachen zu animieren? MEEDIA hat mit einem der Gründer und mit dem Kreativchef gesprochen.
Globetrotter-Fans durften in der Hamburger Europapassage virtuell Berge besteigen (MEEDIA berichtete). Sparkassen-Kunden wurden aufgefordert, sich mit einer gealterten Form ihrer selbst zu unterhalten. Siemens-Mitarbeiter sollten sich in einer Art Firmen-Metaverse mit den Alltagsproblemen potenzieller Kunden auseinandersetzen und so lernen, wie das Unternehmen helfen kann.
Hinter all diesen Projekten steckt Curious Company. Die Hamburger Agentur hat sich spezialisiert auf technikbasiertes Storytelling. Neben dem einzigartigen Standing in der Branche bringt das aber auch Herausforderungen mit sich. Kein Kunde möchte das Projekt seines Vorgängers übernehmen und nur sein Logo darauf kleben. Technisches Know-how, das man sich bei Curious Company draufgeschafft und Hardware, die man angeschafft hat, funktionieren nicht selten nur in einem einzigen Projekt.
MEEDIA sprach mit einem der Gründer, Henning Westerwelle, und dem Kreativchef, André Hennen, wie das funktioniert.
Herr Westerwelle, die Zeiten sind sehr bewegt, geradezu turbulent. Wie geht Curious Company damit um?
Westerwelle: Wir haben uns im Laufe des Jahres 2023 sehr stark spezialisiert. Unser USP ist unser Verständnis für eine ganzheitliche, auch digitale Kommunikationsberatung und Produktion. Wir teilen das in drei Bereiche, die wir in den Fokus stellen.
Diese sind: Business, Storytelling und Technology oder Business Story Tech. Wir sehen das als Kreislauf. Nichts geht ohne das andere. Auch hohe Storytelling- und Kreationskompetenz funktioniert nur, wenn wir vorher ganz klar strategische und wirtschaftliche Ziele mit unseren Kunden vereinbaren, um dann über den Hebel von starkem Storytelling und über relevante, neue und gut ausgewählte Technologie Produktionen, Produkte und Kampagnen umsetzen. Die Ziele, die wir vorne strategisch festgelegt haben, werden hinten überprüft. Und dann bieten wir Anpassungen, Interaktionen, Versionierung und Weiterentwicklungen an.
Wir haben gemerkt, dass es tatsächlich ein USP unserer Arbeit geworden ist, Produkte auf den Markt zu bringen und für unsere Kunden Produkte zu entwickeln, die alle noch lebendig und vor Ort sind. Es ist nichts online gegangen, um nach zwei Monaten Kampagnenzeitraum wieder abgeschaltet zu werden.
Hennen: Wir arbeiten eigentlich ohne Kampagnen. Und wenn, dann laden wir damit nur Menschen in “digitale Marketing-Produkte” ein, die langfristig funktionieren. Wir nennen das Prinzip digitale Nachhaltigkeit. Damit brechen wir ein paar Silos in der Branche auf: Früher gab es Kreativ-Agenturen mit Storytelling, Consultancies mit Business-Strategie und Digital-Produktionen mit Technologie im Fokus. Und alle haben sich gegenseitig in der Fachpresse immer professionell runtergemacht (“ohne Strategie bringen deine witzigen Filmchen nix”, etc.). Diese Zeiten sind zum Glück vorbei: Business, Story, Tech sind gleichberechtigt wichtig, dann erschafft man auch Nachhaltiges. Sogar im Marketing.
Kann man diesen Universalismus-Gedanken als Trend in der Agenturlandschaft erkennen?
Hennen: Das hat ja inzwischen auch der Letzte gemerkt. Fast jede klassische Storytelling-Agentur gehört inzwischen zu einem Network. Man muss eben in einem anderen Business-Kontext arbeiten als früher. Und das sage ich als Kreativer, was ja schon weird genug ist. Jeder Bereich braucht eine Wertschätzung gegenüber den beiden anderen Bereichen.
Wie äußert sich das?
Hennen: Wir denken in allen Bereichen so, dass es auch lange läuft: Das ist auch schön für die Geschichte. Wenn man einen guten Storytelling-Hook hat, dann sollte er auch bitte weiterlaufen. Ein gutes Buch endet auch nicht nach drei Wochen Kampagnenzeitraum.
Westerwelle: Früher gab es so einen binären Blick auf die Dinge, dass man gesagt hat, entweder ist irgendwas Performance oder wird programmatisch ausgespielt oder es ist Brand, verfolgt ein größeres Ziel und gewinnt einen Kreativ-Award. Interessanterweise waren wir immer diejenigen, die gesagt haben, dass in der Grauzone dazwischen genau der Weg liegt, der zu gehen ist.
Können Kunden mit einem solchen Paradigmenwechsel umgehen? Auch bei denen bildet sich die Dichotomie Brand und Performance ab.
Westerwelle: Am Ende braucht es Kunden, die nicht nur auffallen wollen, sondern auch gleichzeitig ein handfestes Business-Problem mitbringen. Die Tür geht schon lange nicht mehr auf, weil irgendjemand mit irgendeiner Technologie kommt. Die Apple Vision Pro öffnet keine Neugeschäftstür.
Hennen: Die älteren unter den Lesern werden sich erinnern: Sebastian Turner hat 30 Jahre lang versucht zu beweisen, dass Kreation wirkt. Und mittlerweile geht das. Nach der Produktion tracken wir auch fortwährend, wie unsere Kreation benutzt wurde und wie sie konvertiert hat. Dafür haben wir unsere eigene Analytics-Plattform Curio.OS entwickelt. Ich würde behaupten, wir sind die Einzigen, die so etwas gebaut haben.
Woher kam der Impuls, das zu bauen?
Hennen: Der Wunsch kam ursprünglich aus der Storytelling-Ecke. Wir wollten wissen, wie lange die Leute in der Geschichte bleiben. Und dann haben die Kunden gesagt, das ist ja total interessant, das hätten wir auch gern.
Wir hatten auch schon den Moment, mit einer Kampagne, die reflexartig nach ein paar Monaten abgeschaltet werden sollte. Und dann konnten wir zeigen: Das Ding wird immer noch die ganze Zeit benutzt, da werden nonstop Verträge abgeschlossen. Und so wurde das Projekt dann auch nicht abgeschaltet.
Beim Globetrotter-VR-Experience-Projekt 2019 war es schwer, ein neues Unternehmen zu finden, das so ein neues Setup nutzt. Sind denn Kunden offen für solche Gespräche?
Westerwelle: Globetrotter an sich war eigentlich die erste Evidenz für digitale Nachhaltigkeit. Es wurde 2019 gelauncht und war dann bis 2023 up and running. Das Problem für Globetrotter war: Wie schafft man es, Kunden, die Abenteuer erleben wollen, ein Stück von diesem Abenteuergefühl zu geben und aufzuladen?
Allerdings war Globetrotter ein proprietäres Produkt, was für potenzielle neue Kunden nicht gerade eine low-hanging Fruit war. Das war ehrlich gesagt aber auch nie unsere Agentur-Idee zu sagen: Wir sind die mit den VR-Brillen und der “Hyper Reality Digital Kiste”.
Das hat damals viele Türen geöffnet, und das freut mich auch immer noch, weil es so ein relevanter Landmark dafür in Deutschland ist. Aber gleichzeitig sind wir halt keine Virtual-Reality-Agentur, wir sind keine Metaverse-Agentur. Unsere Idee ist immersives Storytelling, egal, ob das jetzt eine VR-Brille ist oder eine Web-Experience oder Augmented Reality oder eine KI-Driven-Experience.
Technologie ist Teil des Mixes, weil wir als eine der wenigen die Kompetenz haben, unsere eigenen Ideen auch im Haus umzusetzen. Aber die Technologie steht nie vor der Idee, sondern sie folgt Strategie und Idee.
Ein anderes Beispiel: Für Siemens haben wir ein virtuelles 3D-Game im Browser gebaut, um mit Game Based Learning bis 80 Prozent aller Siemensianer das neue Unternehmensleitbild nahezubringen. Technologie folgt dem Problem und ist nicht das Universal-Tool.
Wie hat das genau funktioniert?
Hennen: Siemens hat das Problem, dass sie wahnsinnig komplexe Technologien haben. Also haben wir eine 3D-Stadt gebaut, in der die Nutzer mit virtuellen Bewohnern sprechen können, die ein ganz normales, greifbares Alltagsproblem haben. Und dieses Problem können sie dann mit Siemens Technologie, Hands-on, lösen. Die Nutzungsdaten sind trackbar für das Siemens-HR-Team, das sehen kann, dass diese Person dieses Thema gelernt hat.
Welcher Endkunde gibt einem Unternehmen, einer Marke, so viel Zeit, Dinge zu erklären?
Westerwelle: Es ist immer genau die Frage: Wie schaffe ich es eigentlich, dass meine Mitarbeiter oder Kunden sich im besten Fall in der S-Bahn oder auf dem Weg zur Arbeit, mit dem eigenen Smart-Device, mit so etwas beschäftigen? Und in dem Fall ist die Lösung immer Gamefication. Das Ganze gepaart mit einer sehr, sehr niedrigen Technologieschwelle. Eine Website ohne komplexen Log-in, ohne Download einer App. Das ist der Schlüssel.
Hennen: Aber es kommt total darauf an, wer ist der Kunde und was ist das Problem? Wir verkaufen ja kein Snickers im Supermarkt. Sondern es sind meistens komplexe Probleme. Für die “Neue Leben” haben wir die Zukunft ins Heute geholt. Mobile und auf einem lebensgroßen Terminal konnten Kunden mit ihrem AI-generierten Zukunfts-Ich sprechen und fragen, wie es einem in 20 Jahren geht. Das ist eine relativ einfache, aber super emotionale Geschichte. Wir haben da immer hohe Play-through-Raten. Leute, die ein Gespräch starten, wollen auch wissen, wie es ausgeht.
Das ist ein völlig anderer messbarer Kontakt, der in einer wahnsinnigen Conversion endet. Das ist halt ganz, ganz anders als früher.
Wie viel Technologie können wir dem Endkunden überhaupt zumuten?
Westerwelle: Den Menschen geht es nie um Technologie, sondern es geht eigentlich immer darum, das Erlebnis, was Technologie ermöglicht, zu erleben. Das ist im Endeffekt, was Disney auch macht: Am Ende geht es nie darum, dass ich sagen kann, ich bin gerade auf so einer Hydraulikschnecke geritten, sondern eigentlich habe ich eine Geschichte erlebt. Der Weg rein muss immer einfach sein. Virtual Reality ist daher eigentlich immer ein schwieriges Mittel der Wahl.
Das technische Erlebnis muss unsichtbar sein. Es ist ganz häufig das Smartphone. Neue Leben “Triff dein Zukunfts-Ich” ist daher auch keine vordergründige KI-Experience, sondern es ist ein Anruf in deine Zukunft, ein Gespräch mit deinem Zukunfts-Ich.
Wenn ich das richtig gesehen habe, hatten Sie es doch auch auf dem Kiosksystem mit einem humanoiden Avatar installiert?
Hennen: Ja, auch. Es gibt sowohl das Kiosksystem 50-mal in Deutschland, aber es funktioniert auch auf dem Smartphone. In den Sparkassen ist es ein Vertriebstool in der Filiale. Was auch sehr schlau war. Aber es gab auch eine Kampagne, um Leute mit einem QR-Code auf die Experience zu lenken: Social Media, Spotify, Podcast-Werbung, OOH-Werbung. Aber eben nicht als Werbung, sondern als Einladung zu einer einzigartigen Experience. Es ist eine völlig andere Art der Kommunikation.
Ein solches System baut schon Hemmschwellen auf. Muss man instore bei so einer Installation noch einen anderen Weg gehen, noch einen Schritt weiter, um die Leute da hinzukriegen, sich zu entspannen?
Westerwelle: Nein, gar nicht. Die standen ja in den Sparkassen und da stand: Triff dein Zukunfts-Ich. Es war wie ein FaceTime-Call. Und das war auch die gesamte Interaktion.
Und diese Terminals existieren bis heute.
Es braucht einen Kontaktpunkt, und der erste Kontaktpunkt ist nicht: Ich möchte gerne mit Ihnen über meine Altersversorgung sprechen.
Hennen: Ja, ich glaube auch, dass es für ganz viele das erste Mal war, dass sie überhaupt mit einer KI gechattet haben. Das überschätzt man dauernd in der Branche. Es macht den Leuten halt Freude und am Ende haben sie sich etwas gemerkt oder sind zum Nachdenken gekommen und das ist schon mal viel mehr, als man meistens erreicht.
Die ganze Entwicklung Richtung KI, wenn wir das Bild wieder ein bisschen größer ziehen, ist dann doch für Curious Company eigentlich ein richtiger Segen, oder? Das ganze Prototyping solcher komplexen Ideen wird einfacher.
Westerwelle: Wir geben uns extrem viel Mühe, nicht auf ein Pferd zu setzen. Jetzt gerade ist das KI, letzte Woche war es NFTs, davor war es Metaverse. Wir sind da immer sehr vorsichtig. Ja, wir können es auch bauen, aber das ist nicht der Punkt. Unsere Kunden kommen mit einem Problem zu uns, daraus machen wir eine Strategie. Wir bauen eine geile Story auf die Menschen Bock haben, und dann wählen wir eine Technik, die sinnvoll ist.
Hennen: KI-Tools beschleunigen auf der einen Seite. Sie machen auf der anderen Seite aber auch oft mediokre Bildwelten auf. Natürlich benutzen wir im Rapid Prototyping von Ideen und Konzepten generative KI. Aber damit sind wir ja wirklich nicht alleine. Aber das kann nie den eigenen Storytelling-Kniff ersetzen.
Wir haben halt keine 25 Junior-ADs, denen wir irgendwas hinschmeißen. Da brauchen wir manchmal genau das, was GenAI kann. Aber am Ende zeichnet sich mehr aus, dass wir Experten im Storytelling, in der User Experience haben, oder Strategie-Experten, die das bewerten können.
Kriegt man dafür gute Leute heutzutage?
Westerwelle: Wir haben gemerkt: Es wird nicht unbedingt leichter, die richtigen Leute zu finden. Aber wir merken auch, und darum steht auch Curious an der Tür, es geht eher um ein grundlegendes Mindset als um die Exzellenz mit einer speziellen Software. Die Leute, mit denen wir langfristig am allerbesten arbeiten können, die haben alle wahnsinnig viel Spielfreude und Neugierde. Und davon profitieren unsere Kunden gleichermaßen wie unser ganzes Team. Das Mindset ist wichtiger als der Werkzeugkasten.
Was ist denn gefühlt der ideale Kunde?
Hennen: Er ist offen und er hat ein definierbares Problem.
Westerwelle: Der perfekte Kunde ist auf jeden Fall technologieoffen und hat auch Lust auf einen digitalen Prozess.
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