Apple Vision Pro: Nichts für dich, aber für uns!
6. Februar 2024

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Mein Kaufreflex bei der Apple Vision Pro (AVP) ist erstaunlich gering. Das geht auch einigen Kolleg:innen so. Werden wir alle älter und langweiliger? Liegt es an der „hololensigen” Business-Spießigkeit, mit der die AVP vorgestellt wurde? Warum erzeugt sie Neugier – aber kaum FOMO?
Ich würde mich (privat) als sehr neugierig und begeisterungsfähig bezeichnen, wenn es um neue Technologien geht. Ich verschlinge ein Review nach dem anderen – aber mein Kaufreflex bei der Apple Vision Pro (AVP) ist erstaunlich gering. Das geht auch einigen Kolleg:innen so, die normalerweise nicht mal die Apple Keynote zu Ende geguckt haben, da glüht die Kreditkarte schon. Werden wir alle älter und langweiliger? Liegt es an der „hololensigen” Business-Spießigkeit, mit der die AVP vorgestellt wurde? Warum erzeugt sie Neugier – aber kaum FOMO?
Wenn ein Produkt innovativ genug ist, reicht es, genau das einfach zu sagen. Das iPhone wurde mit der blitzklaren Erklärung verkauft, dass es „ein iPod, ein Telefon und ein Browser in einem“ sei. (Okay, auch diese Info hat Steve Jobs damals dreimal wiederholt.) Das iPhone hat damit allerdings das sehr relevante Problem gelöst, nicht mehr zwei Geräte mitschleppen zu müssen (iPod und Telefon) und ein drittes überhaupt sinnvoll unterwegs nutzen zu können (Browser). Kurz: Es bietet mir eine bessere Experience; es macht mein Leben einfacher oder unterhaltsamer.
Der AVP fehlt diese Experience. Noch. Im Job würde ich sagen:
Die Story hat noch keinen Hook.
Die beiden kritischsten Punkte für jede immersive Kommunikation sind „wie komme ich rein?“ und „was hält mich drin?“. Ein Köder, der den Kauf für mich quasi zwingend macht. Ein Erlebnis, das du nicht verpassen darfst! Hier liegt enormes ungenutztes Potential.
Denn die erfahrenen Profis im VR-Bereich müssen sich zusammenreißen, nicht in den „Play it one more time, Frank“-Modus zu verfallen und die AVP als weitere Brille zu sehen, nur weil sie von außen praktisch genauso aussieht wie alle anderen.
Und die breite Masse sieht immer noch den „Klotz vorm Kopf” und die Tatsache, dass man damit alleine im Wohnzimmer rumhampelt. Plus ein Problem, was die Meta Quest bereits gelöst hatte: den Preis. Je nach Ausstattung ist die Vision Pro fast 10x teurer als die Quest. Aber das hat Apple-Fans noch nie gebremst – den Massenmarkt durchaus.
Aber diese Vision Pro ist auch (noch) nicht für den Massenmarkt. Die Erklärung für den didaktischen Microsoft-esken Launch steht im Namen selbst: „Vision. Pro.” Sie ist eine (Tech-)Vision für Pro(fessional)s.
Es geht eben nicht um den lustigen Apple-Werbe-Papa beim Frühstück, der in einer verstörenden Familien-Szene mit seinem Sohn spielt, während er „durch“ die Vision Pro guckt und damit das Meisterwerk vollbringt, als erster echter Mensch einen Uncanny-Valley-Effekt zu erzeugen. (Roboter oder KI-Avatare an der Grenze zur Menschlichkeit erzeugen oft einen tiefen Grusel).
Nein, die Vision Pro ist ein Dev Kit. Ready for Development. WIR, die Digitalagenturen, sind die Zielgruppe – und angemessen begeistert.
Die Zukunft ist wortwörtlich direkt vor unseren Augen. Vermutlich so nah, dass wir sie deswegen nicht erkennen. „This is it“, sagte Casey Neistat und ergänzt: „This is the worst Vision Pro Apple ever ships. This is going to be so much better.“
Es sind oft kleine Features, die einen großen Unterschied in der Experience machen. Es gab schon vor dem iPhone Touch-Displays – aber Apple hatte das erste ohne Verzögerung und mit Multitouch (Autos erinnern gern an die alte „Touch and Wait” UX). Und Apple war mutig genug, die haptische Tastatur wegzulassen. Was da los war!
And they did it again: Dank Eye Tracking muss man endlich keine (meist leeren und unintuitiven) Controller mehr benutzen. Halleluja! Überzeugt das schon meine Eltern? Unsicher. Aber die Apple Watch wurde auch erst ab Series 5 (mit „always-on“) wirklich gut. Die AVP braucht vermutlich ähnlich viele Editionen, um in der Masse relevant zu werden. Bis dahin ist es angenehm aufregend.
Wir Deutschen bleiben gern in Gartners Hype Cycle (zur Einführung neuer Technologien) im „Tal der Enttäuschung“ hängen. „Ich hab VR ausprobiert, war 15 Minuten ganz lustig, mehr nicht, Thema erledigt.” Für immer. Diese besserwisserische Nörglermentalität hat uns die Führung bei vielen weltverändernden Technologien gekostet. (Allen voran Digitalisierung und E-Mobilität, um nur zwei zu nennen.) Viele schauen eine Innovation eher pflichtschuldig als neugierig an, warten fast darauf, dass sie sie doof finden dürfen und werfen das ganze Thema mitleidig lächelnd in die Ecke.
Dabei werden zwei Dinge übersehen:
- Das Potential, welches aus der neuen Technologie entstehen kann.
- Die Schwäche von bestehenden Technologien, an die wir uns gewöhnt haben.
Heute ist es völlig okay, dass wir Büros mit großen schwarzen Monitor-Rechtecken vollstellen (die Blickkontakte versperren) und Zuhause noch größere schwarze Monolithen mitten im Wohnzimmer haben. Wären Monitore neu, würde uns das mindestens genauso bekloppt vorkommen wie die „dämlichen Brillen“. Denn angenommen, statt große Monitore und ergonomische Computertische aufzustellen, müssten wir nur eine Brille aufsetzen, wäre die große Brille plötzlich erstaunlich klein.
Apple hat seinen Job gemacht – jetzt sind wir dran, zwei wichtige andere Dinge zu ergänzen: Relevante Business-Use Cases (für Marken und Produkte) und emotionale Storys, die uns unterhalten. Für eine perfekte Experience müssen Business, Story und Tech gleichberechtigt ineinander greifen.
„Business“ bedeutet hier: Lohnt sich die AVP für meine Marke? Tja. Deuten wir die Zeichen: Keine HTC, Index oder Quest wurde jemals voller Stolz in der Öffentlichkeit getragen – bis jetzt. TikTok war bereits Stunden nach Release voll von Leuten, die mit der AVP stolz durch New York laufen oder in der Subway sitzen. Weird! Aber vielleicht genauso befremdlich wie die ersten, die in der Öffentlichkeit telefoniert oder später Selfies gemacht haben.
Es ist immer weird, bevor es normal ist.
Die Review-Kultur ist auch anders als bei allen anderen VR-Brillen. Das Thema ist erwachsener. Vorher waren sie wie der Kindertisch auf einer Hochzeit – ganz lustig, aber egal. Apple bringt etwas mit, was weder Microsoft noch Meta haben: Coolness. Denn was die angesagtesten Influencer:innen tragen, trägt bald auch die Masse – und die will emotional abgeholt werden. Denn wenn Technologie deine Idee ist, hast du noch keine Idee. Für ein DevKit reicht eine Tech-Demo, aber bei Markenkommunikation guckt man bei der AVP aktuell noch in die Röhre. Es fehlen Entertainment und Fun.
Wir brauchen den „iBeer-Moment“: Die Älteren erinnern sich: iBeer war eine der allerersten iPhone Fun-Apps, bei der man das iPhone wie ein Bierglas ansetzt und beim Kippen leert. Ein kleiner Gag – der den feinen Gyro-Sensor nutzte und dadurch fast magisch wirkte. (Aus Marketingsicht fast tragisch, dass damals keine Biermarke ihr Logo auf dem virtuellen Bierglas hatte – es wäre millionenfach geteilt worden.) Das sind die kleinen Nuggets, die jetzt auf der Erde liegen und warten, eingesammelt zu werden. Wobei die großen Marken natürlich längst angefangen haben, richtige Goldminen zu graben:
Von kompletten Retail-Erfahrungen zuhause – bei denen man die neuen Wanderschuhe nicht nur aus dem Regal nehmen kann, sondern sie immersiv im Schnee auf den Mount Everest trägt, während eine Beratungsstimme einem hilft!
Hin zu AR-Experiences, die bisher gut funktionieren – sie sind mit dem offensichtlich brillanten Passthrough der Vision Pro spektakulär! Statt dem kleinen Smartphone-Riegel in den Händen steht das Asset eben wirklich im Wohnzimmer. Mit realistischem Schatten und 3D-Audio. Und das sind Assets, die bereits fertig sind.
In der Konzeptionsphase haben wir einen wichtigen Satz, der immer fällt, wenn wir das (Business-)Problem zwar gelöst haben, die Experience für die User:innen aber noch zu fad ist: „Now add the fun“. Und damit legen wir jetzt los.
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